TP4: Lebensmittelsicherheit im Spannungsfeld zwischen Risikoanalyse und Intuition


Prof. Dr. Jutta Roosen, Christine Haßauer


Lebensmittelsicherheit hat eine große gesellschaftliche Bedeutung. Sie dient vornehmlich dem Schutz des menschlichen Lebens und seiner Gesundheit, welche durch akute und langfristige Folgen des Verzehrs nicht sicherer Lebensmittel gefährdet werden. Darüber hinaus hat sie eine große wirtschaftliche Tragweite, denn in Lebensmittelskandalen involvierte Produkte können zu hohen wirtschaftlichen Verlusten und internationalen Handelsverwerfungen führen.

Aufgrund dieser wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung gibt es Evidenzforderungen für Lebensmittelsicherheit nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene. So bestimmt das Abkommen der Welthandelsorganisation über sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen, welche Evidenz in der Verhängung nichttarifärer Handelsbeschränkungen akzeptiert wird. Dementsprechend hat sich seit den 1980er-Jahren die Risikoanalyse mit den Schritten der Risikobewertung, des Risikomanagements sowie der Risikokommunikation als anerkannte Evidenzpraxis im Regulierungskontext herausgebildet.Die mit der Risikoanalyse verbundene Mobilisierung naturwissenschaftlichen Wissens zur Bewertung von Risiken wird in weiten Teilen der Verbraucheröffentlichkeit heutiger Gesellschaften jedoch immer stärker hinterfragt. Intuitive Risikowahrnehmungsmechanismen der Verbraucher/innen scheinen im Hinblick auf die Herstellung von Evidenz für sichere Lebensmittel an Bedeutung zu gewinnen, auch im politischen Diskurs.

Vor diesem Hintergrund untersucht das Projekt, wie Wissenschaft und Verbraucheröffentlichkeit unterschiedliche Formen von Evidenz in den Diskurs um Lebensmittelsicherheit einbringen und sich gegenseitig beeinflussen. Auf Basis von Dokumentenanalysen sowie durch Experteninterviews und Fokusgruppen mit Verbrauchern und Verbraucherinnen soll aufgedeckt werden, welche Rolle die unterschiedlichen Ansätze zur Beschreibung von Lebensmittelsicherheit spielen. Das Projekt betrachtet dabei die Entwicklung in der EU und in Deutschland seit Beginn der BSE-Krise Mitte der 1990er Jahre und fokussiert insbesondere die Rolle der Risikokommunikation, die als ein kontinuierlicher, interaktiver Dialog definiert wird. Das Projekt ergänzt die anderen Teilprojekte der Forschergruppe in der Erforschung von Evidenzpraktiken insbesondere dahingehend, dass im Bereich der Lebensmittelsicherheit zwei gegenläufige Dynamiken, nämlich die Globalisierung und Vereinheitlichung der Lebensmittelmärkte sowie die mit der Modernisierung einhergehende Moralisierung des Essens aufeinandertreffen und sich in der Praxis von Evidenzverfahren – so die These – gegenseitig blockieren.