Tandem 2

Objektivierung – Sicherheit, Technik und Lebensmittel


Teilprojekt 3: „How safe is safe enough?“ Evidenzpraktiken technischer Sicherheit in Zeiten gesellschaftlicher Verunsicherung (Zachmann)


Teilprojekt 4: Lebensmittelsicherheit im Spannungsfeld zwischen Risikoanalyse und Intuition (Roosen)


Evidenz für wissenschaftliches und technisches Wissen wird immer dann in ganz besonderem Maße gefordert und hinterfragt, wenn Leib, Leben und Gesundheit von Nutzern und Nutzerinnen bzw. Verbrauchern und Verbraucherinnen auf dem Spiel stehen – also das Problemfeld der Sicherheit berührt wird. Eine Prämisse der Teilprojekte 5 und 6 ist die These, dass sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und besonders in der Zeit des Strukturbruchs nach Ende des Nachkriegsbooms die Wahrnehmung sicherheitskritischer Bereiche verstärkt hat. Unfälle in Kernkraftwerken, Sprünge in den Verkehrstotenzahlen oder publik gewordene Lebensmittelskandale lösten Evidenzkrisen aus, in deren Folge eine Objektivierung jenes Wissens gefordert wurde, das zur Bewertung der Sicherheit von Produkten und Prozessen zum Einsatz kam. Diese Forderung wurde umso dringlicher, als traditionelle, auf sinnlicher Wahrnehmung und Erfahrungswissen gegründete Verfahren der Bestimmung von Sicherheit nicht mehr überzeugend bzw. akzeptabel waren.

Objektivierung verspricht ‚Universalität‘ statt Situiertheit und allgemeine (globale) Gültigkeit bzw. Akzeptanz und setzt voraus, dass von den subjektiven und lokalen Entstehungsbedingungen des Wissens abstrahiert werden kann. Als ein Hauptweg zu diesem Ziel galt und gilt Quantifizierung, die auf Grundlage der universalen Sprache der Zahlen und als ein streng regelgebundenes Verfahren operiert. Im Ergebnis der Quantifizierung aber wird Sicherheit über das Risiko definiert, indem die statistische Wahrscheinlichkeit des Eintritts (oder Ausbleibens) von Schadensereignissen bestimmt wird. Das verändert die sozioepistemischen Arrangements, die für die Generierung und Nutzung von Evidenz für Sicherheit entscheidend sind. Es ist zu beobachten, dass sich die Expertendiskurse zum Problem der Sicherheit innerhalb der Wissenschaft, aber auch in der Industrie und im Handel sowie die Debatten in den Kontaktzonen zwischen den Bereichen zunehmend auf Ergebnisse aus der seit den 1970er Jahren institutionalisierten Risikoforschung stützen. Das lässt vermuten, dass Wahrscheinlichkeitsaussagen als Evidenz für Sicherheit an Bedeutung gewonnen haben, und dass die Benennung und Quantifizierung von Risiken zu einer gemeinsamen Sprache in der trading zone der verschiedenen Expertendiskurse geworden ist.

Wie und wo sich diese auf das Vertrauen in eine auf Berechenbarkeit gegründete Evidenz für Sicherheit gegen alternative, z.B. auf deterministische Verfahren (Materialprüfung, Fleischbeschau etc.) oder sinnliche Wahrnehmungen gegründete Evidenzpraktiken durchzusetzen begann, ist eine für die Teilprojekte 3 und 4 höchst relevante Frage. Zudem stellt sich für beide Teilprojekte das Problem, wie die auf Quantifizierung beruhende Technisierung der Wissensproduktion (z.B. Modellbildung und Simulation) die Glaubwürdigkeit von Sicherheitsbehauptungen beeinflusst, wenn die erzeugte Evidenz auf Verfahren beruht, die von den Akteuren im sozioepistemischen Arrangement nicht mehr zur durchschauen sind. Parallel dazu zeigt sich in den konkreten Problemfeldern der beiden Teilstudien ein wachsender Einfluss der Verbraucheröffentlichkeit, deren Bedeutung für die Ko-Produktion von Evidenzpraktiken der Sicherheit zu untersuchen ist. Beide Teilprojekte thematisieren die spezifischen Kontakt- bzw. Überlappungszonen zwischen professionalisierter Experten- und nicht professionalisierter Laienöffentlichkeit in Hinblick auf die Frage, welche Sicherheitsvorstellungen als evident akzeptiert (practicing evidence) und zur Grundlage der Regulierungspraxis (evidencing practice) werden.

Zu den geplanten gemeinsamen Aktivitäten gehören u.a. Expertengespräche mit Berufspraktikern und -praktikerinnen aus dem Feld der technischen und Lebensmittelsicherheit, um deren Erfahrung und Wissen für die eigene Forschung zu erschließen. Ein gemeinsamer internationaler Workshop zur Entwicklung der Risikoanalyse und der Bedeutung der Statistik für die Sicherheitsbewertung ist vorgesehen, um diese im historischen und aktuellen Bezug zu beleuchten.