Tandem 1

Narrativierung – Genetik, Medien und Medizin


Teilprojekt 1: Das Janusgesicht der Partizipation: Evidenzpraktiken in der Personalisierten Medizin (Gadebusch Bondio)


Teilprojekt 2: Narrativierung als Evidenzpraxis im öffentlichen Diskurs über Genforschung (Kinnebrock / Bilandzic)


Nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms (2003/2004) ist die Bereitschaft, genetische Informationen als Basis für gesundheitsrelevante Entscheidungen zu nutzen, rapide gewachsen. Der Erfolg von Gentestanbietern zeigt, wie eine immer größere Anzahl von Bürgern und Bürgerinnen in den wohlhabenden Ländern Informationen über ihre genetische Ausstattung wünschen. Obwohl bei den meisten Genmutationen keine eindeutigen Auswirkungen prädizierbar sind und die Interaktion von genetischen und epigenetischen Faktoren höchst komplex bleibt, wird in den Medien der Eindruck evidenter Fakten vermittelt (Gen für X). Dabei werden u.a. Erfolge von kühnen Forscherpersönlichkeiten und Schicksale von glücklich geheilten Kranken aufgegriffen. Die sozioepistemischen Konstellationen, die in den zwei Teilprojekten zu definieren und zu untersuchen sein werden, bilden u.a. Patienten und Patientinnen, Mediziner/innen und Genforscher/innen, die im Rahmen ihrer Wissenschaftsdisziplinen, ihrer medizinischen Institutionen, der Öffentlichkeit und der Social-Media-Sphäre agieren.

Gemeinsame Annahme der zwei Teilprojekte ist, dass, wenn wissenschaftliche Ergebnisse an ein Massenpublikum vermittelt oder Laien im Kontext der partizipativen und Personalisierten Medizin gar an der Herstellung von Befunden beteiligt werden, Evidenz nicht ausschließlich entlang hochspezialisierter und abstrakter wissenschaftlicher Verfahren generiert und vermittelt werden kann. Einen zentralen lebensweltlichen und massenmedialen Vermittlungsmodus stellen Narrationen dar: Sie zeigen, wie Evidenz auch narrativ, mithilfe von plausiblen Geschichten, die auf menschlichen Erfahrungen und Emotionen beruhen, generiert werden.

Teilprojekt 1 befasst sich mit partizipativen Bestrebungen in der Medizin und untersucht insbesondere den Wandel von Evidenzpraktiken in der Personalisierten Medizin. Mannigfaltige, von Patienten generierte Daten, aber auch Narrative des Krankseins werden historisch und hermeneutisch analysiert. Die Anwendung von narrativen Evidenzpraktiken in der massenmedialen Berichterstattung über Genforschung, deren Spezifika und deren Verhältnis zu wissenschaftlich gängigen Evidenzpraktiken werden mit empirisch-quantitativen Methoden in Teilprojekt 2 untersucht. Die umfangreiche Medienberichterstattung dürfte auch in Zusammenhang stehen mit dem großen Interesse der Bevölkerung für die Errungenschaften von Humangenetik und Molekularmedizin, auf die sich die Personalisierte Medizin des 21. Jahrhunderts stützt. Dies gilt für (noch) gesunde wie kranke Menschen gleichermaßen. Ein intensiver methodologischer Austausch zwischen den beiden Teilprojekten wird sich unter anderem in der Ausrichtung eines Workshops zu verschiedenen Formen von narrativer Evidenzherstellung und ihrer methodischen Erfassung konkretisieren.