TP6: Evidenz in der Citizen Science

Zwischen nicht-zertifizierter Expertise,
professioneller Kontrolle und Technisierung


Prof. Dr. Sabine Maasen, Prof. Dr. Sascha Dickel, Dr. Andreas Wenninger


Die Beteiligung von Laien an der Forschung galt lange als kaum vereinbar mit dem Selbstverständnis moderner Wissenschaft. Dies beginnt sich jedoch zu wandeln. Unter dem Stichwort Citizen Science etabliert sich gegenwärtig ein sozioepistemisches Arrangement, das auf der Partizipation von Laien im Forschungsprozess basiert. Damit bilden sich neue funktionale Beziehungen heraus, in denen Wissen koproduziert wird, neue Formen der Arbeitsteilungen erprobt und etablierte Rollenverständnisse problematisiert werden. Als technologischer Treiber aktueller Citizen Science gilt die Digitalisierung mit den durch sie ermöglichten Beteiligungsinfrastrukturen. Mit Citizen Science verbinden sich wissenschaftspolitische Erwartungen einer Demokratisierung von Wissenschaft und einer partizipativen Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen.

Während die bisherige Forschung zur Thematik eher auf normative Fragen (etwa bzgl. der Gestaltung der Partizipation) fokussierte, stellt das geplante Projekt epistemische Probleme und ihre soziale Bearbeitung in den Mittelpunkt der Analyse. Gefragt wird, wie Evidenzpraktiken in der Citizen Science funktionieren – angesichts einer Beteiligung von Akteuren und Akteurinnen, die nicht zu zertifizierten wissenschaftlichen Professionsgemeinschaften gehören. (Wie) kann Wissen auch dann als glaubwürdig und handlungsorientierend erachtet werden, wenn der soziale Kreis der Beteiligten an der Forschung den berufswissenschaftlichen Kontext überschreitet? Der Stand der Forschung legt es nahe, insbesondere drei Typen von Evidenzpraktiken in den Blick zu nehmen, mit denen die spezifischen sozioepistemischen Fragilitäten von Citizen Science bearbeitet werden, nämlich 1) die Attribution von nicht-zertifizierter Expertise, 2) die professionelle Kontrolle durch zertifizierte Experten und 3) die Technisierung der Wissensproduktion, welche Defizite in der Expertise abfedert.

Da das beantragte Forschungsvorhaben darauf abzielt, noch kaum erschlossene Interaktionsmechanismen in einem neuen Phänomenbereich offenzulegen, bietet sich eine qualitative Vorgehensweise an. Acht typologisch ausgewählte Citizen Science-Projekte werden mithilfe von Dokumentenanalysen, fokussierten Ethnografien und Interviews multimethodisch untersucht und interpretativ ausgewertet. Im Setting eines transdisziplinären Workshops, der Akteure aus den untersuchten Projekten mit externen Akteuren ins Gespräch bringt, soll anschließend untersucht werden, wie Evidenz kommunikativ konstruiert, behauptet oder bestritten wird. Das Projekt verspricht nicht nur ein besseres Verständnis rezenter Varianten partizipativer Wissensproduktion, sondern auch Einsichten in die Konstitution hochtechnisierter Wissensgesellschaften, in denen Partizipation zunehmend auch epistemische Fragen berührt und zudem immer stärker auch mit Techniknutzung und damit einhergehenden Technisierungsprozessen verknüpft wird.